Missbrauch in der katholischen Kirche

Missbrauch in der katholischen Kirche

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Warum gab es bisher kaum Strafverfahren gegen Geistliche?

Für katholische Geistliche gilt das weltliche Recht wie für jeden anderen Bürger auch. Doch viele der inzwischen bekannt gewordenen Missbrauchsfälle sind verjährt – auch weil die Kirche ihre Macht genutzt hat, um Priester vor Strafverfolgung zu schützen.

Von Christiane Florin | 28.06.2023

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Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, geht nach einem morgendlichen Gottesdienst im Dom zu Fulda aus dem Dom.
Die katholische Kirche wird seit Jahren von Missbrauchsskandalen erschüttert. Kritiker fordern, die Aufarbeitung der Geschehnisse in unabhängige Hände zu legen. (picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow)

Etliche Gutachten belegen inzwischen systematischen Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. Trotzdem entsteht der Eindruck, dass es sich um eine kircheninterne Angelegenheit handelt – mit kaum spürbaren Konsequenzen vor Gericht. Warum findet die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale primär durch die Kirche selbst statt? Und warum war in der Öffentlichkeit bisher kaum etwas über Strafverfahren zu hören?

Was passiert beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch in der Kirche aktuell?

Sexueller Missbrauch ist eine Straftat, sowohl im römisch-katholischen Kirchenrecht als auch im weltlichen Recht. Wenn Anhaltspunkte für eine solche Straftat vorliegen, beginnt hier wie dort ein Verfahren.

In Rom öffnet sich die größe Tür zur Generalaudienz bei Papst Franziskus I. einen Spalt weit.

Bischöfe unter Druck Kann sich die katholische Kirche noch erneuern?Ein Netz aus Schweigen, Vertuschen, Lügen: Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche. Einmal mehr zeigt sich der starre Machtapparat. Die Zahl der Kirchenaustritte steigt. Was muss sich ändern?

Wichtig zu wissen ist aber: Es gibt im weltlichen Recht keine Anzeigepflicht für sexuellen Missbrauch. Wer von einer möglichen Straftat weiß, muss sie also nicht melden. Zu einem Verfahren nach weltlichem Recht kommt es aber nur, wenn die Behörden auch davon erfahren.

Ansprechpartner für Opfer sexueller Gewalt

In den Bistümern gibt es Ansprechpersonen, an die sich mutmaßliche Opfer sexualisierter Gewalt wenden können. Wenn dies geschieht, wird die Plausibilität der Beschuldigungen überprüft, das heißt, die mutmaßlichen Betroffenen werden angehört, das Gespräch wird protokolliert.

Der Beschuldigte wird mit den Vorwürfen konfrontiert. Zudem muss seit 2002 jeder Missbrauchsverdacht an die Glaubenskongregation im Vatikan gemeldet werden. Diese Pflicht wurde aber nicht konsequent beachtet.

Papst Benedikt, früher Erzbischof von München und Freising, wird in dem Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum schwer belastet. © picture-alliance / dpa / Gerhard Rauchwetter

Der emeritierte Papst Benedikt soll in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising nichts gegen sexuellen Missbrauch unternommen haben und bestreitet Mitwissen. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller kann darüber nur den Kopf schütteln.

Der emeritierte Papst Benedikt soll in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising nichts gegen sexuellen Missbrauch unternommen haben und bestreitet Mitwissen. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller kann darüber nur den Kopf schütteln.

„Von einer vollständigen Nicht-Wahrnehmung der Opfer“ ist die Rede in einem neuen Gutachten zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising. Ein Gutachten, dass auch den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer belastet.

Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen den Missbrauch beschuldigter Kleriker unternommen, heißt es. Damit konnten verurteilte Täter zum Beispiel weiter als Priester in der Seelsorge arbeiten.

Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, äußert sich in einer Pressekonferenz zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising

Missbrauchsgutachten Münchner Kardinal Marx räumt Versagen im Umgang mit Betroffenen ein 20.01.2022 06:10 Minuten

Auch dem amtierenden Erzbischof Reinhard Marx werden Fehler vorgeworfen. Er hat sich geäußert und im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung gebeten.

„Das ist erst mal eine Floskel“, kritisiert Thomas Schüller, Kirchenrechtler an der Universität Münster. Die Betroffenen wollten sehen, dass jemand Verantwortung übernehme und aufgeklärt werde, dass sie Entschädigungen bekommen. „Und überall gibt es Defizite.“

Ratzinger „schadet der Gesamtkirche“

Es sei nicht das erste Gutachten, aber dieses habe eine besondere Qualität, urteilt Schüller: „Jetzt sind drei Kardinäle involviert und der ehemalige Papst, das ist quasi der weltpolitische, weltkirchliche Rahmen.“

Joseph Ratzinger habe die Chance verpasst, reinen Tisch zu machen und zu sagen, dass er die moralische Verantwortung trage, dass in mindestens vier Fällen schwerstkriminelle Täter weiterarbeiten konnten und neue Opfer entstanden seien. „Aber die Größe hat er nicht und dementsprechend zerbricht sein Bild, aber er schadet damit natürlich der Gesamtkirche.“

Es habe immer gegolten: „Kleriker gehen vor Opfern – Opfer waren nicht in der Perspektive.“

„Absolut peinlich“

Die Gutachter hätten durch ihre Recherchen bewiesen, dass Ratzinger genau über die Vorgeschichte Bescheid gewusst habe. Es sei absolut peinlich für den ehemaligen Papst, dass ihm nachgewiesen werde, die Unwahrheit zu sagen. Ratzinger selbst zeichne in seiner Stellungnahme „das Bild eines vollkommen unwissenden, unbedarften Kardinals“. Die Opfer habe Benedikt XVI. überhaupt nicht im Blick.

Die Gutachter hätten durch ihre Recherchen bewiesen, dass Ratzinger genau über die Vorgeschichte Bescheid gewusst habe. Es sei absolut peinlich für den ehemaligen Papst, dass ihm nachgewiesen werde, die Unwahrheit zu sagen. Ratzinger selbst zeichne in seiner Stellungnahme „das Bild eines vollkommen unwissenden, unbedarften Kardinals“. Die Opfer habe Benedikt XVI. überhaupt nicht im Blick

Noch lebende bischöfliche Entscheidungsträger, aber auch amtierende, müssten sich wirklich der Verantwortung stellen. Schüller schlägt vor, die weitere Aufarbeitung an eine unabhängige staatliche Kommission zu geben:

„Denn es wird an diesem Beispiel sehr deutlich: Sie verleugnen, sie vertuschen, selbst wenn sie mit den Tatsachen konfrontiert werden, es gibt nicht die Bereitschaft, sich tatsächlich der eigenen Fehlergeschichte zu stellen.“

„Denn es wird an diesem Beispiel sehr deutlich: Sie verleugnen, sie vertuschen, selbst wenn sie mit den Tatsachen konfrontiert werden, es gibt nicht die Bereitschaft, sich tatsächlich der eigenen Fehlergeschichte zu stellen.“

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